Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Mutigste im ganzen Land? «Ihr seid es, milady, ganz bestimmt. Niemand sonst wagt solch düstere Wege zu gehen.»
Die Wahrheit ist: Ich fürchte mich. Jeder einzelne Schritt scheint mir zuweilen schwer, die Gedanken dunkel und die Fantasie grenzenlos. Vor sieben Jahren hat sich meine Angststörung zuletzt gezeigt. Nun schlägt sie mir eisern ins Gesicht – lässt meinen Märchenwald erwachen. Böse Wölfe, die mich quer durchs Lande jagen; kinderfressende Hexen, die mein kindliches Ich gefangen halten und meinen Geist mit Schrott statt Freude nähren; Stiefmütter, die, nach alleiniger Schönheit strebend, mein Selbstwertgefühl achtlos in den Boden stampfen. Alle sind sie da, die verdammten Gestalten! Sich in dunkelsten Ecken meines Selbst versteckend, nach mir und meiner Lebensfreude trachtend.
Immer wieder stelle ich mich meinen Ängsten. Beruhige den Teil in mir, der keinen richtigen Halt findet. Den, der manchmal schon morgens heulen könnte, weil er im Dauerstress ist. Der Panik kriegt, wenn der Druck zu gross wird. Den, der lieber nichts empfindet als die Lebendigkeit des eigenen Körpers spürt, weil jede noch so kleine Rührung dem Tod gleichgesetzt wird. So tanze ich mich frei von dessen Fesseln, stampfe kraftvoll, springe leicht wie eine Feder, wiege mich im Angesicht des Feindes sanft hin zu mehr Lebensqualität – manchmal nur mit mässigem Erfolg.
Dieser mein Prozess ist anstrengend und Kräfte raubend. Das gebe ich gerne zu. Doch letzten Endes, weiss ich aus Erfahrung, weicht die Beschwerlichkeit meist Erleichterung, eingeschüchterte Persönlichkeitsanteile offenbaren ungeahnte Stärken und, diese führen hoffnungsvoll auf den weiteren Weg. Was ich aus dem aktuellen Prozess schöpfen werde? Keine Ahnung. Nur; dass mein inneres Kind gelitten hat und es das nicht mehr braucht. In gut 20 Jahren – mit liebevoller Unterstützung von mir, meinen Lieblingsmenschen, zwischenzeitlich Tanz- und Psychotherapeuten, Massagen und mehr – bin ich mir selbst Mutter und Vater geworden und trage gerne die Verantwortung für mein Leben und mich.
So entschliesse ich, mich auf jene Dinge zu konzentrieren, die Freude bringen und mein Herz vor Freude hüpfen lassen. Etwa ausgelassen mit Sohnemann Timo spielen, Schwimmen wie es die Profis tun nur viel, viel langsamer, mit Freundinnen tanzen gehen, quatschen und lachen bis der Bauch zu platzen droht. Stunde für Stunde. Tag für Tag. Immer wieder aufs Neue. Daran halte ich mich fest. Genau darum blicke ich in den Spiegel und stelle mich diesem gerade sehr schweren Prozess.
English translation
Mirror Mirror on the wall. Who is the bravest of them all? «It’s definitely you, milady. No one else dares to walk such dark paths.»
The truth is: I am afraid. Every single step seems difficult at times, my thoughts dark and my imagination boundless. My anxiety disorder last showed up seven years ago. Now she slaps me in the face with iron – awakens my fairytale forest. Bad wolves chasing me across the country; child-eating witches who imprison my childlike self and feed my spirit with junk instead of joy; stepmothers who, striving for beauty alone, carelessly trample my self-esteem into the ground. They’re all there, the damned creatures! Hiding in the darkest corners of myself, looking for me and my zest for life.
Again and again I face my fears. Soothe the part of me that doesn’t find proper support. The one who could sometimes cry in the morning because he is under constant stress. Who panics when the pressure is too great. The one who would rather feel nothing than the vitality of their own body, because even the smallest emotion is equated with death. So I dance my way free from its chains, stomp powerfully, jump lightly as a feather, rock gently in the face of the enemy towards a better quality of life – sometimes only with moderate success.
This «my» process is exhausting. I’ll gladly admit that. But in the end, I know from experience, the difficulty usually gives way to relief, intimidated parts of the personality reveal unexpected strengths and these lead hopefully on the further path. What will I get out of the current process? No idea. Only; that my inner child suffered and doesn’t need it anymore. In approximately 20 years – with loving support from me, my favorite people, in the meantime dance and psychotherapists, massages and more – I have become a mother and father to myself and I am happy to take responsibility for my life and myself.
So I decide to focus on those things that bring joy and make my heart skip a beat. Playing exuberantly with my son Timo, swimming like the pros do only much, much slower, going dancing with friends, chatting and laughing until my stomach threatens to burst. Hour after hour. Day after day. Again and again. I’m sticking to that. That’s why I look in the mirror and face this very difficult process.